Wer nicht hört muss fühlen

Seit ein paar Wochen bin ich Träger von Hörgeräten, die man heutzutage Hörhilfen nennt.

Gleich die erste Erkenntnis vorweg: Ich höre zwar meine Frau deutlicher wie früher, doch besser verstehen tue ich sie weiterhin nicht!  😉

Mir ist es übrigens auch nicht peinlich, mit den Stöpseln im Ohr herumzulaufen. Liegt wohl daran, dass es keine Alters-Hörbeeinträchtigung ist, sondern eine erblich bedingte. Außerdem, wenn es mit unserer gesundheitlichen Versorgung weiter so bergab geht, kann ich womöglich meinen Enkeln eines Tages stolz erzählen, dass es eine Zeit gab, in der sich der Opa Hörhilfen leisten konnte. Meine Enkel werden mich ungläubig ansehen und sagen: „Ach Opa, jetzt flunkerst Du aber!“ und ich antworten: ‚Nein, es gab wirklich mal eine Zeit, da wurde Sehen, Hören und Kauen nicht als *nice to have* angesehen und es gab Krankenkassen für Alle und die haben einen Großteil der Kosten übernommen!“

Doch nach dem Blick in die Zukunft, mal einen in die Vergangenheit, zum Vergleich mit der Gegenwart…

Mein Großvater, von dem ich kein Vermögen aber die Hörschwäche in den mittleren Frequenzen geerbt habe, der besaß einst auch Hörgeräte. Das waren noch richtig große Teile und hatten die gleiche beige Farbe wie das Gesicht der Gummipuppe meiner jüngeren Schwester. Die Hörhilfen besaßen zwei Funktionen: An und Aus. In späterer Baureihe kam dann noch die Lautstärkeregelung als Feature hinzu, in Form von einem kleinen Rädchen an dem jeweiligen Gehäuse.

Mittlerweile gibt es die Hörhilfen in unterschiedlichsten Farben und Formen. Wer richtig viel Geld hinblättert, bekommt sogar Teile, die direkt ins Ohr gesteckt und zumindest mit Over-Ear-Kopfhörer genutzt werden können. Oder technische Wunderwerke mit diversen Mikrofonen integriert, die das räumliche Hören ermöglichen, also eine Art Sourround-Sound.

Aber auch für weniger Selbstbeteiligung wird einiges an Möglichkeiten angeboten: Lautstärke wie auch Klang lassen sich über App steuern, es gibt Soundprofile für verschiedene Situationen wie zum Beispiel „Gaststätte“ (= viele Gespräche), Outdoor (= Windgeräuschreduktion) oder Musik. Mit Zusatzgeräten kann man das Soundsignal vom Fernseher direkt auf das Hörgerät streamen (Neudeutsch für „Übertragen“) und spart sich damit den Einsatz eines konventionellen Kopfhörers.

Wer ein teureres Handy besitzt mit einem halbwegs aktuellen Betriebssystem, kann direkt Musik übertragen (Klang natürlich eher bescheiden) und Telefonate unmittelbar auf die Hörgeräte übermitteln.

Hier kommt ein Satz zum Tragen, den ich einst häufig von anderen Bereichen der IT zu hören bekam: „Es müsste eigentlich gehen!“

Anders ausgedrückt: Mein Handy beherrscht zwar diese sogenannte Asha-Funktion, leitet die Signale an das Hörgerät, doch das kann damit nichts anfangen. Statt Ton auf dem Ohr, habe ich Stille und weil mein Handy meint, ich habe Sound im Ohr, schaltet es auf stumm. Hier bekommt der Spruch „weniger ist mehr“ eine konträre Bedeutung: „mehr (Funktion) ist weniger (Hörbares)“

Wenn ich telefonieren will, muss ich entweder die Hörgeräte abschalten oder Bluetooth aus, bevor ich das Gespräch annehme/beginne.

Ursache?: unbekannt
Einzelfall?: Nein – passierte mit unterschiedlichen Hörgeräte-Marken
Support? Wie üblich (Hörgerätehersteller: liegt am Handy – Handyhersteller: liegt an der Hörhilfe oder irgendeinem anderen angeschlossen Gerät)
Letztendlich liegt es aber an mir: denn würde ich ein neues iPhone kaufen, müsste auch das Telefonieren via Hörgerät funktionieren.

Das sind dann die Momente, wo ich meinen Großvater beneide. Der musste kein  Bluetooth am Handy ausschalten oder seine Hörgeräte. Es gab eben keine Smartphones und beim Hören nur On und Off  – was damals noch An und Aus hieß. Aber wenn ich das auch noch meinen Enkeln erzählen werde, halten die mich für absolut verrückt!  🙂